Sonntag, 18. Januar 2004
barockmusik
helene,
16:35
abends probe und "dido abbandonate" von tartini gearbeitet. der erste satz so schön! der zweite satz merkwürdig kompositorisch vergurkt. das ist das problem bei den barockkomponisten, die auch noch solo-stars waren. plötzlich musste man noch schnell nach amsterdam und spielen und hatte keine zeit mehr, eine sonate vernünftig fertigzuschreiben. und auf dem weg in den norden wurde man vielleicht irgendwie furchtbar krank oder kriegte einen steifen hals vom kutschengerüttel. tartini. dasselbe problem oft bei vivaldi. "perfekte" komposition zur barockzeit musste man sich leisten können. das ging nur für die, die irgendwo fest in lohn und brot waren. corelli zum beispiel, stilbildend schön für hundert jahre. oder couperin, ganz groß. französische barockmusik, eine sprache für sich, alles wurde einen ganzen ton tiefer gespielt als im rest der welt. das heisst, dass geigen und gamben und cembali unglaublich schlapp bespannt waren, very chilly. der könig hat zeit, der könig ist die zeit… händel und telemann, die anderen namen, die man vielleicht kennt. keine solisten, musikmanager, beide. immer eilig, man musste opernhäuser füllen und sänger und rechnungen bezahlen und den geschmack des publikums treffen. discofunky, italienischer stil, alles hoch und gerne schnell. händel grossartig wegen seiner bässe, so groovy. und telemann immer noch völlig unterschätzt. dabei der zärtlichste von allen. trotzdem das vielschreiber-handicap. bach im vergleich mit den anderen. irgendwo woanders. sturkopf. zwar auch ein bisschen katzbuckelnd, wenns um die pension ging. aber dann doch wieder einfach er selbst, könig hin oder her. das glück des kirchenmusikers, nur seinem gott verpflichtet zu sein - oder einfach nur seinem eigenen geschmack. intellektuell immer eine ecke weiter, form-und zahlenspielerei obendrauf, ohne dass es die sinnlichkeit schmälert. ob er deswegen immer noch ganz oben steht auf der hitliste der barocken komponisten? wegen dieser zahlengeschichten? weil man sich ihm auch über nichtmusikalische ebenen annähern kann? ich habe das oft gehört, dass leute sagen, wie genial und kunstvoll bach da ist. bach & kabbala & escher. und es ist ein bisschen unsinn. man muss es sich so vorstellen: diese zahlenspielereien waren so eine art höherer zeitvertreib für gebildete im barock. ein bisschen so, wie zeit-kreuzworträtsel lösen. das hat man halt gemacht, wenn man in vorzimmern warten musste oder tagelang in kutschen rumfuhr. über die qualität eines musikstückes sagt der zahlenzauber gar nichts aus. bach ist eigentlich viel anstrengender zu hören als die anderen. oft lang, 1000 wiederholungen, schwere harmonien. warum ist er aber immer noch so beliebt? als kirchenmusiker bestand seine aufgabe darin, die gemeinde durch das kirchenjahr zu begleiten. er konnte immer wieder dieselben grossen themen bearbeiten und an ihnen wachsen, und themen, die uns heute auch noch ganz nahe sind, auf jeden fall viel näher als die themen der barocken oper zum beispiel. ich glaube, es ist ein bisschen wie mit luther bei ihm. er rückt auf so eine geschickte und besondere art den menschen als “ich” ins licht, dass wir “moderne” ihn schnell verstehen können oder wenigstens mögen müssen. und seine musik wirkt, selbst wenn man keinen religiösen hintergrund hat. so wie man luther als einen hochinteressanten denker verstehen kann, auch wenn man atheist ist. was wirklich rätselhaft und “genial” an bach ist, zumindest geht mir das so, ist diese absolut-unkaputtbar-qualität seiner musik. ich kann nicht einmal sagen, wie das kommt. aber er überlebt alles, die seltsamsten interpretationen, die schrägsten besetzungen, die stilistisch fragwürdigsten bearbeitungen. bumm, es ist immer noch bach und immer noch irgendwie schön. vivaldi und telemann sind ganz schnell zu ruinieren, händel wirkt gleich irgendwie staubig, wenn man unsorgfältig mit ihm umgeht, corelli nur noch niedlich, obwohl er so ein ernster komponist war. bumm. bach.
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Last modified: 30.05.18, 23:40 Status
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