Montag, 9. Juli 2007
helene,
16:23
wie unangenehm es immer ist, wagner-musik zu lieben. ich kann nicht einfach sagen: yo, es ist groß und die gelungenen aufführungen, die ich bisher sehen konnte, zählen zu den höhepunkten in meinem leben. nein. immer, wirklich immer gerate ich gleichzeitig in erklärungsnot. die grauenhaften libretti. der noch grauenvollere antisemitismus. die grauenhafte instrumentalisierung zur ns-zeit. die grauenhafte klientel, die nach bayreuth pilgert. das geht einfach überhaupt alles gar nicht. tja. und dann träufelt irgendwo diese musik aus dem lautsprecher, aus dem radio, aus dem fernseher, und schon ist es wieder passiert. manchmal denke ich, es gibt gar keine tollere musik. völlig beeindruckt haben mich damals 2002, 2003 die stuttgarter inszenierungen. ich war so erleichtert. man kann den ganzen schwulst einfach weghämmern (ohne eine einzige note zu ändern), und das, was dann herauskommt, ist so ergreifend nahe und klug, dass man überhaupt nicht in erklärungsnot geraten müsste. da ist er wieder, der revolutionär wagner, der super-turbo-künstler-freak im allerbesten sinne. wagner ist übrigens nicht schwer. man kann sich ohne jegliche vorkenntnisse in die musik hineingleiten lassen wie in ein warmes bad. man braucht nur ein bisschen sitzfleisch und die bereitschaft, sich zu öffnen. es macht spass, wenn man ein bisschen was weiss, aber es ist überhaupt nicht nötig. wer hat wohl das bild vom "schweren" wagner geprägt? ich kann mir jedenfalls gut ein großes stück schokolade dazu in den mund schieben und die augen schliessen und nur mitdämmern. ich kann aber auch kerzengrade im opernstuhl sitzen und glockenwach die musikalische architektur verfolgen, die fülle der einfälle bewundern und über komplizierte bedeutungsebenen nachsinnen. in stuttgart damals hat der halbe saal kollektiv aufgeschluchzt in der letzten szene der walküre. auch mir sind die tränen über die backen gelaufen. so zart und stark war das bild brünnhildes, wie sie ein teelicht nach dem anderen an ihrem küchentisch anzündet. wer hatte auch mit so etwas gerechnet. brünnhilde wird in der geschichte eigentlich in einen flammenkreis gesperrt. normalerweise großes kino mit feurio und ordentlich rauch. hier teelichter. was alles reingeht in wagner. ein unfasslich grosser sack. mir gefällt eigentlich auch, wie leicht er ins lächerliche zu ziehen ist. wer muss nicht über textzeilen wie "hoio-to-ho! hoio-to-ho!" erstmal grinsen? aber das verrückte ist, dass er damit tatsächlich davon kommt. wer das einmal live (unbedingt live) gehört hat und wem da nicht der begeisterungsschweiss ausbricht, der hat entweder keine ohren oder gerade ein sehr trauriges leben. selbst, wenn mans überhaupt nicht mag, würd ichs mir trotzdem mal anhören. der effekt von 120 musikern, die alle koordiniert und doch wie die wahnsinnigen losrödeln und -krachen, ist unvergleichlich in seiner fantastischen sinnlichkeit. letzten donnerstag fiel es mir alles wieder ein. die aix-inszenierung flimmerte über den schirm. als stuttgart-walküren-fan hatte ich etwas mühe, dieser inszenierung eine chance zu geben. ehrlichgesagt fand ich sie ein bisschen langweilig. sehr grau. grau tut wagner natürlich gut, man muss ja gegen den schwulst vorgehen. konsequent wäre es aber dann, die grautöne auszuschattieren. naja. aber ich bin bestimmt voreingenommen. dafür haben mir die sänger furchtbar gut gefallen. und orchester & dirigent sowieso. da muss man nix groß sagen. erklärungsnot - ich werd wohl ewig in diesem zwiespalt stecken bleiben. aber das macht nichts. so etwas hält wach.
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Last modified: 30.05.18, 23:40 Status
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