andersneu
Donnerstag, 10. Februar 2005



philippe royllaert: motette rex karole

ars nova. isorythmische motette in 4 stimmen (AATT). die talea wird 5 mal wiederholt und steigert sich in rhymischem crescendo von der longa bis zur minima. bewegung, die die idee der concordia-discordia artikuliert. inhaltlich bezieht sich die motette auf den 100jährigen krieg und karl V, der frieden schafft. sehr reizendes stück von etwa 4 minuten länge.

neulich tip gekriegt von maurice, der mehr lieder kennt, als die wüste sandkörner zählt. gehört habe ich es leider auch noch nicht, aber nach der beschreibung muss es grossartig sein. ars nova ist eine musikströmung des späten 14.jahrhunderts, einer definitiv wilden zeit in westeuropa.

mit mittelalterlicher musik verbinden die meisten leute zunächst gar nichts. hildegard von bingen fällt einigen ein (leider von der eso-öko-reformhaus-bewegung bis zur ohnmacht vermarktet). oder man denkt an musik, die man auf sogenannten mittelalter-märkten hört. bei mittelaltermarkt-musik handelt es sich fast immer um renaissance-musik, die so primitiv mit in lederschlappen wippenden zehen vorgetragen wird, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass diese musik zu mehr taugt, als einem soundtrack zu spontanem wurstverzehr.

die komponisten der ars nova hätte bei diesen bärentatzentänzen das kalte grausen gepackt. man organisierte sich in intellektuellen zirkeln, war ziemlich gut informationsvernetzt (man reiste viel) und immer auf einen ruf des sophisticated-seins bedacht, um sich von der konkurrenz abzusetzen. man las, man diskutierte, man führte dispute. ein instrumentalist oder sänger konnte schon ein bisschen doof sein (das ist noch heute so), ein komponist aber nicht. schliesslich gehörte er zum hofstaat, sass vielleicht auch mal mit an der tafel und durfte dann keinen peinlichen unsinn schwatzen. klar stand er in einem abhängigkeitsverhältnis zu seinem herrn, doch wenn er es geschickt anstellte, konnte er ein leben in achtung und mit nicht unerheblichen freiheiten führen, denn ein anständiger potentat wusste immer, was sein komponist wert war.

ein beispiel. stellen sie sich vor, sie sind fürst. und sie haben ständig ärger mit könig xy. mit waffengewalt besiegen können sie ihn nicht, er ist stärker. also laden sie könig xy an ihren hof ein. machen ein bisschen small-talk und winken dann nach dem essen ihren zeremonienmeister heran und beauftragen ihn: "hol mir miles, er soll etwas trompete für uns spielen." miles kommt und spielt göttlich. könig xy ist völlig bezaubert und schwer beeindruckt, und sie hören ihn, wie er in seinen bart grummelt "scheisse, der fürst hat mich am sack. er ist mir über in der kunst." könig xy hat nämlich nur chuck berry im tross. immerhin chuck berry, aber miles ist eben eine andere klasse.

philippe royllaert. abgesehen davon, dass die meisten zeitgenössischen komponisten am hungertuch nagen: man muss wohl froh sein, dass die angestellten-verhältnisse der alten zeiten sich geändert haben. sonst gäbe es heute wahrscheinlich eine motette rex george w., eine ballata "hillary, mille regretz!" , und ganz bestimmt auch ein rondeaux (in stilo toscanello) "ay, ay! frere joschka!"

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